Alle Verkehrsteilnehmenden erleben täglich Behinderungen der eigenen Mobilität beim Besuch der Neuköllner Kieze nördlich der Ringbahn. Besonders drastisch ist dies nachmittags und abends. Ob Richard-, Reuter- oder Schillerkiez: das Flanieren, zu Fuß oder auf dem Rad, durch die teils wunderschönen Straßen ist, gelinde gesagt, sehr stark eingeschränkt. Fahrradfahrer*innen werden die Wege gefährlich versperrt. Zu Fuß Gehende können teils kaum noch die Straße überqueren, weil an vielen Ecken und Einfahrten PKW und Kleintransporter wild und regelwidrig parken und so die Sicht und den Weg nehmen. Kinder sowie Menschen mit Kinderwagen sind ohnehin durch den gefährlichen Verkehr gefährdet. Behinderte Menschen haben keine Chance, die Wege sicher zu nutzen. Und zivilisiert parkende Autofahrer*innen müssen ewig suchen, bis sie in den vollgeparkten Straßen noch einen freien Parkplatz ergattern.
Wer nicht suchen kann oder will, verhält sich wie die schlechten Vorbilder und profitiert so kurzfristig von dem teils anarchisch wirkenden Zustand. Den eigenen Egoismus streichelnd, parkt man gerne wild, also außerhalb der Regeln, und muss nur selten Konsequenzen fürchten.
Mehr Autos bringen mehr Parkdruck
Dass der Parkdruck in ganz Berlin in den letzten Jahren gerade in den innenstadtnahen Gebieten drastisch zugenommen hat, ist beim Blick auf die nackten Zulassungszahlen wenig verwunderlich. Zwischen 2008 und 2020 stieg der PKW-Besitz in ganz Berlin um etwa zwanzig Prozent an. Hinzu kamen etliche Besucher und Touristen samt der eigenen PKWs, jährlicher Zuzug und ein kaum überblickbares Heer an neuen Car-Sharing-Anbietern und Ruftaxen, die bislang wohl kaum zu einer Verkehrsentlastung geführt haben. Im Gegenteil: die vorhandene Stellfläche ist im Ergebnis zunehmend überlastet. Wildes und rücksichtsloses Parken ist auch eine Folge dieser überlasteten Fläche. Zunehmend trübt es unser Stadtbild.
Auf der Straße und im Internet formiert sich Widerstand gegen Behörden, die es aktuell augenscheinlich nicht schaffen, die geltenden Regeln ausreichend und in der Mehrzahl der Fälle durchzusetzen. Berlinweit häufen sich schwere Unfälle und auch hier entsteht eine Diskussion über die mangelhafte Überwachung des fließenden Verkehrs.
Bezirks- und Senatsverwaltung wirken überfordert
Trotz dieser Entwicklungen verpassten es die Senatsverwaltungen für Verkehr und des Innern, die Politik und Verwaltung des Bezirks Neukölln und die zuständigen Ordnungskräfte, die Kontroll-Infrastruktur in diesem und anderen Bezirken entsprechend anzupassen. Und so bewegt sich die Überwachung von Verkehr und Parkraum in Neukölln weiterhin auf dem Niveau der wilden früheren Zeiten, als es noch kaum Parkplatzprobleme in Neukölln gab und man sich mit der „is halt Neukölln“ Entschuldigung zufrieden geben konnte. So wie es damals keine Parkplatzprobleme gab, so benötigt der Bezirk scheinbar diese, im Vergleich mit anderen Großstädten sehr verlässliche Einnahmequelle, bis heute nicht. Die hiesige Politik lamentierte, statt etwas zu unternehmen.
Immer noch geistert vor allem bei SPD und Linken die Idee vom „armen Autofahrer“ durch die Köpfe, den man sich bei Wahlen gnädig stimmen will. Soziale Politik sei die Politik für die Autofahrer*innen: eine längst widerlegte Behauptung, denn auch in Neukölln gehören diese soziologisch gesehen eher zu den ökonomisch besser gestellten Bewohner*innen, eher wohnhaft in der Vorstadt. Andere, nicht motorisierte Verkehrsteilnehmer*innen sind oft weniger betucht und bezahlen indirekt für die großflächige Nutzung des öffentlichen Raums ihre Steuern.
Vergehen durch regelwidriges Halten oder Parken bleiben gegenwärtig in Neukölln viel zu selten ungeahndet. Das führt zu einem teils anarchisch anmutenden Zustand. Zwar liegt die Zahl der Umsetzungen (Abschleppen) regelwidrig geparkter Fahrzeuge aktuell auf einem Höchststand innerhalb der letzten 10 Jahre, doch hat sich in dieser Zeit der Verkehr vervielfacht. Bei den Geschwindigkeitskontrollen der Polizei gab es in Berlin zwischen 2017 und 2019 gar einen Rückgang.
Neukölln sollte zukünftig noch mehr Interesse an einem optimalen Verkehrsfluss haben, denn mit dem Autobahnanschluss Sonnenallee und dem BER kommen neue verkehrspolitische Herausforderungen auf den Bezirk zu. Dies zu gewährleisten ist laut Aussage der Verantwortlichen mit dem knappen Personal bei Polizei und Ordnungsamt offenbar derzeit nicht möglich. Sowieso wird das Ordnungsamt während der Nachtstunden gar nicht eingesetzt. Zur Freude der wild Parkenden.
Warum brauchen wir in Nordneukölln konsequente Parkraumbewirtschaftung?
Parkraumbewirtschaftung meint das Einrichten von Parkzonen und die Erhebung einer Nutzungsgebühr, ähnlich wie aktuell in vielen Gebieten in Mitte und Prenzlauer Berg. Ursprünglich hatte man sich auf Senatsebene auf eine deutliche Ausweitung solcher Zonen bereits bis Ende 2020 festgelegt und wollte so mit den Zentren anderer europäischer/deutscher Metropolen gleichziehen. Doch wie so oft ist der Berliner Zeitplan ist in akuter Gefahr. Alle Bezirke tun sich bislang eher schwer beim Einrichten neuer Zonen. Mitte richtet aktuell eine Parkzone im Hansaviertel ein.
Es gibt in Nordneukölln für die Anwohner*innen mit PKW theoretisch erst einmal keinen Mangel an Parkplätzen! Es gibt nur immer mehr Autos und immer mehr Verkehr und irgendwann ist Fläche, selbst wenn sie reichlich vorhanden ist, eben rar. Der Bezirk führt aktuell keinen offiziellen Zahlen über seine kostenlosen Parkplätze, so reichlich ist dieses Gut scheinbar noch vorhanden. Würde der Parkraum in Nordneukölln flächendeckend neu verteilt und klug überwacht, könnten Anwohner*innen, Fahrradfahrende, Fußgänger*innen, Gewerbetreibende und Lieferant*innen davon profitieren. Skepsis ist verfrüht. Dazu schrieb die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung schon im Jahr 2009 an die Abgeordnete Jutta Matuschek (Die Linke): „Untersuchungen im Bezirk Mitte zur Parkraumbewirtschaftung in der Spandauer Vorstadt zeigen, dass vor Einführung der Parkraumbewirtschaftung die Skepsis der Anwohnerinnen und Anwohner überwiegt. Nach der Einführung steigt die Akzeptanz in dem Umfang, wie die Maßnahmen der Parkraumbewirtschaftung Wirkung zeigen und die Vorteile der Parkraumbewirtschaftung – zum Beispiel schneller einen Parkplatz zu finden – im Alltagsleben erkennbar werden.“
Die „Oma“ findet schon heute keinen haustürnahen Parkplatz
Dies könnte Neuköllns regierende SPD gerne ihrer „Oma“ erklären, deren Parkplatz sie in Diskussionen gerne voreilig verteidigt. Die „Oma“, die überhaupt noch im Norden des Bezirks wohnt, findet heute erst recht keinen Parkplatz in der Nähe ihrer Haustür, es sei denn sie parkt „wild“, also regelwidrig. Sie bleibt also heute schon in ihrem Anliegen eines haustürnahen Parkplatzes auf der Strecke.
Der verfügbare Raum an Parkplätzen würde bei einer Bewirtschaftung einerseits zunehmen, denn für Menschen, die nicht hier wohnen, wird das Dauerparken weniger attraktiv. Auch verkürzen sich in der Regel Stellzeiten der Nutzer*innen. Anwohner*innen und Nutzer*innen von Carsharing finden schneller einen Stellplatz. Auch lassen sich Wohnmobile nicht mehr, wie jetzt, dauerhaft und kostenlos abstellen. Dadurch könnten andererseits einige Flächen für eine anderweitige Nutzung durch die Zivilgesellschaft gewonnen werden, beispielsweise für Radwege, Urban-Gardening-Projekte im Kiez, Flächen für die lokale, von Corona gebeutelte Gastronomie, Spielflächen oder Flächen für den lokalen Einzelhandel. Hinzu kommen aktuell im Bezirk Mitte rund 7 Millionen Euro Überschuss aus Einnahmen und Ausgaben für Parkraumüberwachung pro Jahr! Geld, das auch Neukölln dringend brauchen könnte und in die Aufwertung des öffentlichen Raums stecken könnte.
Beliebte Freizeiteinrichtungen bieten keine Parkplätze
Aktuell sind 100 Prozent des Parkraums in Nordneukölln kostenlos. Ergebnis: An Freizeiteinrichtungen, wie dem Sommerbad Neukölln ist oft kein Parkplatz zu bekommen, weil Dauerparkende dort stehen dürfen: Wohnmobile, Bootsanhänger, Saunen!
Menschen, die auf ihren PKW angewiesen sind, leiden ebenso unter der aktuellen Situation, wie Kinder, die sich kaum noch frei durch den Großstadtdschungel bewegen können, denn die Autos werden immer höher, was die Sichtachse in Kreuzungsbereichen massiv behindert. Daher sollte das Über-Nacht-Parken von Transportern allgemein nur noch in speziell ausgewiesenen Bereichen erlaubt sein. In der Innenstadt von Mannheim ist das zum Beispiel schon heute so. In Neukölln sind Sichtachsen überall stark eingeschränkt. Neukölln wirkt stellenweise wie eine große Abstellhalde.
Für Kurzzeitparkende braucht es darüber hinaus an allen Hauptstraßen konsequent überwachte Liefer- und Haltezonen! Doch auch dieses Konzept ist bislang in Neukölln Neuland.
Besucher könnten gratis und limitiert Besucherparkausweise bekommen, die z. B. mittels einer Anwohner-App ausgestellt werden. Alle Menschen mit einem Behindertenausweis könnten von der Parkgebühr befreit werden. Älteren könnte der Bezirk von den Einnahmen der Parkraumbewirtschaftung Taxigutscheine anbieten. CarSharing-Unternehmen sollten ebenfalls von der Parkgebühr befreit werden. Eigene Parkplätze für Sharing-Fahrzeuge sind aber sinnvoll. Täglich sollten heute schon Abschleppdienste den Verkehrsraum überwachen und gemeinsam mit Polizei und Ordnungsamt grobe Falschparker*innen umgehend abschleppen. Dies ist im aktuellen deutschen Bußgeldkatalog die einzige Maßnahme, die den „Wildparkern“ Ihr Fehlverhalten angemessen verdeutlicht. Gegenwärtig ist es für jeden nur bequem, zum „Wildparker“ zu werden. Es wird sehr wenig abgeschleppt in Neukölln, ansonsten würden es sich viele gar nicht mehr trauen so zu parken, wie sie parken.
Parkraumbewirtschaftung soll laut Bezirk „bald“ kommen
Die gute Nachricht: Die Überwachung des Parkraums soll laut Bezirksamt demnächst kommen! Eine Anfrage der Grünen beantwortete Bezirksbürgermeister Martin Hikel im November wie folgt: „Die zur Einführung einer Parkraumbewirtschaftung (PRB) im Norden Neuköllns in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie wird laut Aussage des beauftragten Verkehrsbüros zum Jahresende vorliegen. Als Zwischenstand kann ich mitteilen, dass das Gutachten voraussichtlich große Teile Neuköllns innerhalb des S-Bahn-Rings als geeignet für die Einführung der PRB einstufen wird.“
Es ist geplant, das Kaufen der Tickets über eine Automatenlösung zu ermöglichen. Parkscheinautomaten sind jedoch sehr teuer und die Geräte sind diversem Vandalismus ausgesetzt. Eine moderne Parkraumüberwachung in Nordneukölln sollte auf Augenhöhe mit der Digitalisierung aufgebaut werden. Hier ist mehr Kreativität gefragt. Für modernere Lösung spricht sich auch Kreuzbergs grüne Bürgermeisterin Monika Herrmann aus. Ihre Verwaltung prüft aktuell Möglichkeiten, die elektronische Parkraumüberwachung vorzubereiten. „Wir haben Kontakt zu den Niederlanden aufgenommen und schon eine rechtliche Stellungnahme anfertigen lassen. Momentan wird ein Papier zu dem Projekt vorbereitet, das wir dann zur Diskussion stellen wollen, um Senat und das Abgeordnetenhaus von der Idee zu überzeugen.“, so die Politikerin auf Anfrage.
Wieso die beiden Bezirke mit Bezug auf die Verkehrswende nicht gemeinsam nach adäquaten Lösungen suchen, bleibt schleierhaft. Schließlich werden beide massive Probleme bekommen, die Parkzonen anschließend zu überwachen. Und so mangelt es insgesamt an einer politischen Diskussion über die Lösung der Probleme für die geplagten Anwohner*innen. Es ist davon auszugehen, dass das Thema noch größere Konflikte in den betroffenen Kiezen hervorrufen wird. Die Chancen der Parkraumbewirtschaftung allgemein dürfen aber nicht verkannt werden.
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