Hermannstraße – ein Rückblick

Wenn Behörden-Ping-Pong auf politische Uneinigkeit, Aktivismus auf Frustration und leere Versprechen auf hohe Erwartungen treffen, dann geht es um die Hermannstraße. Nach fast zweijährigen Diskussionen und lautstarken Protesten hat sie es zu einer echten bezirkspolitischen Berühmtheit geschafft. Denn kaum eine andere Radverkehrsinfrastruktur zeigt auch 3 Jahre nach Inkrafttreten des Mobilitätsgesetzes so deutlich die Schwergängigkeit der Politik und Verwaltung in Berlin. Nun ging es endlich los auf der Hermannstraße. Anlass für uns Revue passieren zu lassen.

Während unserer Podiumsdiskussion “Status Wo? Radfahren auf Neuköllns Magistralen” im Mai 2018 gab Martin Hikel, wenige Monate nach seinem Amtsantritt als Bezirksbürgermeister, bekannt, dass für die Hermannstraße eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben wurde. Wenige Monate später gab er in einem Interview der Kiez und Kneipe jedoch zu Protokoll, dass die Hermannstraße so bleiben würde, wie sie ist. Eine Kehrtwende schien Hikel allerdings nicht vollzogen zu haben, wurden im Frühjahr doch die Ergebnisse Machbarkeitsstudie vorgestellt. Von da ging die Planung seinen üblichen, viel zu lang andauernden, Weg. Bis die Pandemie Schwung in die Sache brachte. 

Pandemieresiliente Radverkehrsinfrastruktur, oder einfach Pop-up Bikelanes. Eine Kreuzberger Initiative, die sich schnell großer Beliebtheit in ganz Berlin erfreute und sogar international geachtet wurde. Der Grund ist ganz einfach: Kinder und Senioren können angstfrei und sicher Fahrrad fahren. Dass auch der Bezirk Neukölln hierfür dringenden Bedarf hat, lag schnell auf der Hand. So haben wir in einem Brief an Martin Hikel mehrere Maßnahmen gefordert, darunter die Einrichtung von Pop-up Bikelanes auf der Hermannstraße. Dazu bot sich die bereits fortgeschrittene Planung an, was jedoch aufgrund der hohen Komplexität mit vielen Ampelschaltungen und zahlreichen Gewerbetreibenden abgelehnt wurde. Zufrieden gaben wir uns damit nicht.

Im Mai 2020 begann unsere befreundete Initiative Hermannstraße4Alle (H4A) sonntäglich eine Fahrraddemo auf der Hermannstraße zu veranstalten. Der politische Druck wuchs, auch dank weiterer Initiativen, mit denen wir ebenfalls lautstark protestierten. In der Folge beschlossen im September 2020 die SPD, Grünen und Linken in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Tempo 30 für die Hermannstraße. Außerdem passierte ein Antrag der Grünen, Pop-up Bikelanes auf Teilabschnitten einzurichten, im Juni 2020 ebenso erfolgreich die BVV. Wir lehnten eine solche Minimallösung ab, da stückweise und isolierte Radwege keine Lösung sind und dies auch nicht im Sinne des Mobilitätsgesetzes ist.

Nachdem jedoch die beschlossenen Teilabschnitte ausblieben, kam die enttäuschende Nachricht, dass es keine Pop-up Bikelanes auf der Hermannstraße geben wird. Der Ball wurde zur Senatsverwaltung gespielt, die eine solche Einrichtung als technisch nicht umsetzbar bewertete. Dafür bestehe jedoch die Absicht umso mehr Kraft und Kapazitäten in die dauerhaften Radwege einzubringen. Zu diesem Zeitpunkt war die beabsichtigte Einrichtung der Radwege bereits in zwei Bauabschnitte eingeteilt. Zunächst von der Glasower Straße bis zur Leinestraße und anschließend bis zum Hermannplatz.

zwischenzeitlich sammelte H4A Unterschriften für einen Einwohnerinnenantrag und konnte bereits im Oktober 2020 mehr als  2000 Namen bei benötigten 1000 zählen. Nach Einreichung des Antrags im Bezirksamt wurden schlussendlich dauerhafte und durchgehende Radwege von der Glasower Straße bis zum Hermannplatz beschlossen, mit dem Versprechen den südlichen Teil im Jahr 2021 fertig zu stellen. Zuvor wurde ein schwammiger Zeithorizont von mehreren Jahren genannt.

Doch auch während wir zu Beginn 2021 auf den Startschuss warteten, ließen die Radwege weiter auf sich warten. Dabei wurde bekannt, dass es größeren Abstimmungsbedarf zwischen dem Bezirksamt und der Senatsverwaltung gab. Problematisch erwiesen sich die Ampelschaltungen, die nicht ohne weitere Verzögerungen angepasst werden können. Der Ball wurde erneut zur Senatsverwaltung gespielt, wobei in diesem Fall ein Kompromiss gefunden wurde. Die Radwege können gebaut werden, die Anpassung der Ampelschaltung für die Radwege, sowie eine neue Ampel an der Kreuzung mit der Thomasstraße werden jedoch aufgeschoben. Ende Oktober 2021 begann die Einrichtung der dauerhaften Radwege auf dem südlichen Teil der Hermannstraße.

@Frankyschorsch

Nach jahrelangen Diskussionen freuen wir uns riesig, dass es endlich losgeht. Auch, weil nun deutlich früher, als ursprünglich geplant, gebaut wird. Unser Druck und Protest hat sich gelohnt! Doch die Hermannstraße zeigt ebenso eine besorgniserregende Tatsache. Von Aufteilungen in Bauabschnitte über Verzögerungen bis hin zu planerischen Vereinfachungen: Die Ziele wurden immer weiter reduziert. Im Bezirk Neukölln hat es wichtige Errungenschaften für den Radverkehr gegeben, keine Frage. Die Hermannstraße ist jedoch das erste große Radverkehrsprojekt im Bezirk. Und hier schien die Politik hin und her gerissen, die Verwaltung an ihrer Grenze arbeitend. Das muss in Zukunft mit deutlich mehr Entschlossenheit, Beschleunigung und Planung aus einer Hand geben! 

Im Wahlkampf präsentierten die Grünen in Neukölln unter dem “Motto, bereit weil Ihr es seid” einen bunt visualisierten Vorschlag für die Hermannstraße. Dass die Neuköllner Radfahrerinnen und Radfahrer bereit sind, haben sie bewiesen. Jetzt sollte die Frage lauten, ob es auch die Verwaltung ist. Nach der letzten Meldung, die wir erhielten, wurde der südliche Abschnitt von der Leinestraße bis zur Thomasstraße verkürzt.

1 comment on “Hermannstraße – ein Rückblick”

  1. Distel Antworten

    Ob ich es jemals erlebt habe, dass der neue Radweg nicht an irgendeiner Stelle von Autofahrenden umgenutzt wurde? Not so sure. Wo kein Poller, wird auf dem Radweg geparkt, gehalten, überholt und abgebogen. Immer.

    Natürlich ist es besser als vor der Umgestaltung. Aber davon, dass ein Kind hier sicher fahren kann, ist die Hermannstraße meilenweit entfernt. Verkehrsverstöße, die Radfahrende gefährden, sind hier keine Ausnahme, sondern ein Dauerzustand.

    Was mich zudem einigermaßen fassungslos macht, ist, dass die Radinfrastruktur im Süden der Hermannstraße plötzlich abbricht. Gerade dort, wo die höchste Umweltbelastung Berlins besteht (Umweltgerechtigkeitsatlas), wurde darauf verzichtet, die Straße zu befrieden. Der bestehende Radweg ist gen Süden völlig hinüber, die meisten Radfahrenden meiden ihn deshalb, Rad- wie Gehweg sind stellenweise absurd eng.

    Es hätte sich angeboten und wäre unkompliziert gewesen, den Umbau fortzusetzen bis zum Ende der Hermannstraße. Das Motto aber scheint in Neukölln eben noch immer zu sein: nur das Allernötigste.

    So wird das nichts mit der Verkehrswende.

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